Privatdozent Dr. Mathias Grote

Alfried Krupp Junior Fellow
(Oktober 2021 - März 2022) 

  • Studium der Philosophie and Biologie
  • Wissenschaftlicher Mitarbeiter, Lehrstuhl für Wissenschaftsgeschichte, Institut für Geschichtswissenschaften, Humboldt-Universität zu Berlin
  • Heisenberg-Fellow am Institut für Geschichtswissenschaften, Humboldt-Universität zu Berlin

Fellow-Projekt: „,Aus dem Kleinen bauen sich die Welten' – Eine Geschichte und Epistemologie der Mikrobiologie für die Gegenwart“

Gefährliche Pathogene, winzige Helfer, omnipräsente Gefährten – Mikroben erscheinen seit ihrer Entdeckung bedrohlich wie faszinierend. Zudem hat die gegenwärtige Mikrobiologie signifikant zu einem neuen Bild des Lebens beigetragen, was etwa das Verständnis von Evolution oder Symbiose betrifft. Daher gilt es, unser Verständnis der Beschäftigung mit Mikroben von seiner Engführung auf das goldene Zeitalter Pasteurs und Kochs zu befreien und die ökologische Geschichte und Gegenwart dieses Faches in den Blick zu nehmen. Dazu werden die erstaunlichen, aber wenig bekannten Arbeiten Christian Gottfried Ehrenbergs (1793-1876) untersucht, eines Reisegefährten Humboldts und seinerzeit einer weltweiten Autorität des Mikrokosmos. Ehrenberg verschrieb sich dem Studium der Mikroben als einer bildenden Kraft in Erde, Wasser und Luft, welche die Menschen immer wieder faszinierte wie erschreckte, und spricht daher auf erstaunliche Weise zu Fragen von Menschen, Mikroben und Planet. Dieses Projekt wird zentrale Begriffe zur Wechselwirkung verschiedener Lebensformen reflektieren und damit auch das gegenwärtige Faszinosum der Mikroben verstehen helfen.


Ergebnisse des Fellowships

Der Infusorienforscher Christian Gottfried Ehrenberg (MKG Collection Online _ Hermann Biow)

Da das Forschungsprojekt das Verhältnis von Mikroben, Mensch und Umwelt über den langen Zeitraum vom 19. Jahrhundert bis ca. 2000 in den Blick nimmt und somit Teil eines langfristigen Vorhabens bildet, wurden im Forschungsaufenthalt als Alfried-Krupp-Junior-Fellow von Oktober 2021 – März 2022  folgende Abschnitte des Projektes bearbeitet:

1. Recherche und Niederschrift eines englischsprachigen Forschungsartikels zu Christian Gottfried Ehrenberg (1795-1876) und seinen Arbeiten zu „Infusorien“ (d.h. pro- und eukaryotischen Mikroorganismen) um 1840-1850 (vgl. Fellow-Lecture).
In diesem Projektteil wurden zahlreiche Quellen aus den Lebenswissenschaften des 19. Jahrhunderts erhoben und ausgewertet, welche Handschriften aus dem Archiv des Museums für Naturkunde Berlin und der Berlin-Brandenburgischen Akademie der Wissenschaften ebenso umfassen wie Presseberichte über die öffentliche Wahrnehmung der Forschung an Mikroben um 1840. Dazu wurden Mikrofilm-Recherchen in der Staatsbibliothek Preußischer Kulturbesitz Berlin sowie umfängliche Transkriptionen von Korrespondenzen unternommen.
Der mit Hilfe dieses Materials verfasste Forschungsartikel analysiert Ehrenbergs Konzeption eines mikrobiell umfassend „belebten Planeten“ zwischen ca. 1840 und 1850, einer Phase vielfätiger wissenschaftlicheer und politischer Umbrüche. Im Kontrast zur Bakteriologie in der Nachfolge Louis Pasteurs und Robert Kochs wirkt das Konzept der Mikroben als etwa durch fossile Überreste die Gestalt der Erde prägende Kraft überraschend aktuell, etwa wenn sie gegen Debatten des Anthropozäns gelesen wird, welches zwar einerseits den Menschen zur geologischen Kraft erhebt, im gleichem Zuge aber auch die Wirksamkeit anderer Lebensformen artikuliert.
Der Artikel untersucht auch die philosophische und politische Dimension der Forschungen Ehrenbergs anhand seiner Analyse von „Blutwundern“ zu Zeiten politischer Instabilität und einer Choleraepidemie im Jahr 1848. Allerdings ging es Ehrenberg bei der Naturalisierung dieser Erscheinungen nicht um eine „Entzauberung der Welt“ im Sinne von Max Weber, sondern eher darum, Religion und Wissenschaft als institutionalisierte, gesellschaftlich stabilisierende Kräfte in Zeiten politischer Unruhe etwa gegen Gerüchte und Weltanschauungen wie Materialismen oder Spiritualismen in Stellung zu bringen.
Somit kann dieser Artikel nicht nur die historische Wirksamkeit und Aktualität eines wenig bekannten Naturforschers aufzeigen, sondern füllt eine Leerstelle der Geschichtsschreibung der Lebenswissenschaften des 19. Jahrhunderts, indem er die Debatten der Jahrhundertmitte nicht als Vorläufer der danach entstandenen modernen Konzeption der Biologie auffasst, sondern in ihrem eigenen Milieu historisch situiert.

2. Untersuchung der Entwicklung der Mikrobiologie und ihrer Rezeption nach 1970
Zu diesem Projektteil wurde während des Fellowships ein popularisierender Artikel in der Zeitschrift Kursbuch veröffentlicht. Um ein synthetisches Bild der komplexen Wechselwirkungen der Erforschung von Mikroben bei Infektionsprozessen, der Antibiotikaresistenz oder Epidemien wie auch der aktuellen mikrobiellen Ökologie (Symbiosen, Mikrobiom) oder der Biotechnologien (Patente auf Leben, Green Economy) in Zeiten von Molekularbiologie und Digitalisierung zu erstellen, wurde gemeinsam mit dem Medizinhistoriker Christoph Gradmann (Oslo) eine internationale Gruppe von 14 AutorInnen aus Medizin- und Wissenschaftsgeschichte zusammengestellt. Ziel dieses kollaborativen Forschungsprojektes ist es, ein allgemeinverständliches Gesamtbild eines komplexen, hoch differenzierten und global bestehenden Feldes wie der Mikrobiologie zu erstellen, welches dabei helfen soll, unsere wissenschaftliche Gegenwart und damit auch die vielfältigen Wechselwirkungen zwischen Naturwissenschaften und Gesellschaft besser zu verstehen, ohne dabei auch hergebrachte Klischees wie jene der mikrobiellen Invasoren zurückzugreifen.

3. Fellow-Workshop „Zeit. Erfahrungen, Begriffe und Geschichten zwischen den Disziplinen“
Aus den Präsentation der Fellow-Projekte und gemeinsamen Diskussionen entstand gemeinsam mit PD Dr. Caroline Rothauge die Idee eines selbst organisierten Workshops des Fellow-Jahrgangs „Zeit. Erfahrungen, Begriffe und Geschichten zwischen den Disziplinen“ am 11.7.2022. Dieser basierte auf Kurzpräsentationen aller anwesenden Fellows, die nicht nur inspirierend und bereichernd waren, in ausgedehnte und profunde interdisziplinäre Diskussionen mündeten und einen persönlichen Höhepunkt des Fellowlebens darstellten. Für die großzügige und freundliche Unterstützung dieser Veranstaltung möchten wir – und hier spreche ich nicht nur für die Organisator_Innen sondern den gesamten Jahrgang dem Kolleg und insbesondere Dr. Christian Suhm sehr herzlich danken!

Insgesamt stellte der Aufenthalt am Alfried-Krupp-Kolleg eine wunderbare Möglichkeit dar, frei und in einer luxuriös zu nennenden Abgeschiedenheit der eigenen Forschung nachzugehen, zu recherchieren zu schreiben und neue Projekte zu planen während die Aktivitäten des Fellow-Jahrganges und das Vortragsprogramm für viele überraschende und unerwartete Begegnungen sorgten. Auch dafür danke ich dem Kolleg sehr herzlich.