Privatdozentin Dr. Andrea Hofmann

Alfried Krupp Junior Fellow
(Oktober 2022 - September 2023) 

  • Studium der Evangelischen Theologie und Musikwissenschaft in Heidelberg und Salzburg; Promotion in Kirchengeschichte, Theologische Fakultät Heidelberg
  • 2018/2019 DFG-Forschungsstipendium an der Theologischen Fakultät Straßburg
  • assoziierte wissenschaftliche Mitarbeiterin am Leibniz Institut für Europäische Geschichte Mainz
  • 2022 Habilitation und Erteilung der Venia Legendi im Fach Kirchengeschichte an der Theologischen Fakultät Mainz

Fellow-Projekt: „In frölichkeit Sein lob außbreitt. Frauen und die Ausbildung evangelischer Frömmigkeit in der Reformationszeit und im Konfessionellen Zeitalter“

Eine große Anzahl von Gesang-, Gebet- und Andachtsbüchern aus der Frühen Neuzeit wurde von Frauen verfasst. Das Projekt fragt danach, wie Frauen aus unterschiedlichen evangelischen Konfessionen und Denominationen sowie gesellschaftlichen Positionen zwischen 1520 und 1700 durch die Publikation von Gebets- und Andachtsbüchern und durch das Dichten von geistlichen Liedern zur Ausbildung evangelischer Frömmigkeit und damit zur Verstetigung reformatorischer Ideen in der Gesellschaft beigetragen haben. Gerade durch diese „kleine Literatur“, die bis heute nur in Einzelfällen erschlossen ist, wurde – so lautet die Ausgangsthese des Projekts – das Alltags- und Frömmigkeitsleben der Menschen und damit auch die evangelische Theologie in der Frühen Neuzeit entscheidend geprägt. Durch die Erschließung und systematische Analyse der Quellen schreibt das Forschungsprojekt diese Schriften und ihre Autorinnen als wichtige Akteurinnen der Frühen Neuzeit in die Christentumsgeschichte ein.


Ergebnisse des Fellowships

Aemilie Juliane von Schwarzburg-Rudolstadt [1637-1706]
Plakat Pomerania cantat

Einführung: Frauen als Gestalterinnen von Frömmigkeit in der Frühen Neuzeit
Die Frühe Neuzeit ist eine Epoche weiblicher Frömmigkeit. In bislang kaum bekanntem Umfang trugen Frauen im 16. und 17. Jahrhundert mit eigenen literarischen Publikationen zur Ausbildung evangelischer Frömmigkeit und Theologie in den unterschiedlichen evangelischen Konfessionen und Denominationen und damit zur Entwicklung, Verstetigung und Veränderung theologischer Ideen in der Gesellschaft bei.

Dass Frauen im Rahmen der häuslichen Frömmigkeitspraxis in der Frühen Neuzeit eine wichtige Rolle spielten, ist seit langem bekannt: Kinder erhielten ihre früheste religiöse Erziehung meist von ihren Müttern oder Großmüttern, die mit ihnen sangen, beteten und über den Glauben sprachen. In nicht unerheblichem Maße waren Frauen also für die religiöse Prägung ganzer Generationen verantwortlich. Frauen vermittelten in der Frühen Neuzeit aber nicht nur Glaubensinhalte, sondern gestalteten sie auch selbst und schrieben sie auf. Hier setzt mein Forschungsprojekt, an dem ich in Greifswald gearbeitet habe, an.

Anhand von Andachtsliteratur, die von Frauen der Frühen Neuzeit verfasst wurde, fragt das Projekt nach Formen, Inhalten und Praktiken weiblicher Frömmigkeit im deutschsprachigen evangelischen Kontext. Der Studie liegt die Arbeitsthese zugrunde, dass sich anhand des Quellenmaterials eine spezifisch „weibliche“ Frömmigkeit der Frühen Neuzeit erschließen lässt, die bisher in der Christentumsgeschichtsschreibung noch nicht berücksichtigt wurde.

Das Projekt stützt sich auf ein Quellenkorpus mit Schriften von ca. 150 deutschsprachigen evangelischen Autorinnen aus der Zeit zwischen 1500 und 1800. Die Quellen stammen aus dem gesamten deutschsprachigen Raum. Indem ich einen vergleichsweise langen Untersuchungszeitraum wähle und bewusst unterschiedliche evangelische Konfessionen und Denominationen in den Blick nehme, können bestimmte inhaltliche Motive, die sich über den gesamten Zeitraum hinweg zeigen lassen, aber auch Abbrüche von bestimmten Traditionen im Laufe der Zeit festgestellt werden. Zudem kann so erstmals ein großer Überblick über das literarische Wirken evangelischer Frauen in der Frühen Neuzeit gegeben werden.

Langfristig soll das Projekt in eine umfangreiche Monographie münden. In Greifswald habe ich außerdem damit begonnen, ein Lehrbuch zum Thema „Frauen und Reformation“ zu konzipieren, das meine eigenen sowie weitere neue Forschungen, die in den letzten Jahren entstanden sind, aufgreift und für die universitäre Lehre fruchtbar macht. Beide Bücher sollen dazu beitragen, lange vergessene Autorinnen wieder in den Kanon der Christentumsgeschichte und das öffentliche Bewusstsein einzuschreiben.

Forschungsergebnisse: Weibliche Frömmigkeit in der Frühen Neuzeit
Vor meinem Aufenthalt in Greifswald konnte ich bereits die Bestände zweier Spezialbibliotheken für die Frühe Neuzeit – der Herzog-August-Bibliothek in Wolfenbüttel und der Staatsbibliothek zu Berlin – sichten. Auch die Universitätsbibliothek Greifswald verfügt über einen hervorragenden Altbestand, in dem sich zahlreiche Schriften von Frauen aus meinem Untersuchungszeitraum finden. Diesen Bestand habe ich während meiner Zeit in Greifswald gesichtet. Ergänzend konnte ich Bestände der Universitätsbibliothek Rostock nutzen. So habe ich mein Quellencorpus noch einmal erweitert und mir einen Überblick speziell über Schriften von Frauen aus dem Ostseeraum verschafft. Außerdem habe ich von der in Greifswald intensiv betriebenen Forschung zur Barockdichterin Sibylla Schwarz sehr profitiert.

Die Durchsicht des Quellencorpus zeigt, dass evangelische Frauen grundsätzlich in den gleichen Gattungen wie evangelische Männer publizierten: Neben Gesang-, Gebet- und Andachtsbüchern verfassten Frauen – genau wie Männer – Briefe und waren damit Teil des in der Frühen Neuzeit europaweit gespannten Korrespondenznetzwerkes. Sie veröffentlichten außerdem theologische Flug- und Streitschriften sowie theologische Traktate, schrieben ihre Visionen auf und vereinzelt predigten sie sogar. Indem sie oft selbst veranlassten, dass ihre Texte auch gedruckt wurden, traten sie selbstbewusst und engagiert aus dem häuslichen Bereich in die Öffentlichkeit und hatten damit eine eigene Stimme in der Theologie der Frühen Neuzeit. Während noch im Mittelalter vor allem Frauen, die als Nonnen in Klöstern lebten, schriftstellerisch tätig gewesen waren, schrieben und veröffentlichten seit der Reformationszeit vor allem (aber nicht nur) verheiratete Frauen und Mütter.

Auf den ersten Blick erscheinen die Schriften der Frauen konventionell und nicht besonders innovativ oder gar feministisch: Bestehende gesellschaftliche Ordnungsvorstellungen – auch die tradierten Rollenzuschreibungen von Mann und Frau und insbesondere das Idealbild von der Frau als Gattin und Mutter – scheinen in den Texten der Frauen bestätigt zu werden. Auf den zweiten Blick wird jedoch deutlich, dass Frauen gerade dadurch, dass sie eigenständig Literatur publizierten, aus den ihnen zugeschriebenen Rollenmustern ausbrachen und neue Wege gingen. Das Leben, der Glauben und die Theologie von Frauen wird in ihren eigenen Texten greifbar.

Die Frauen selbst reflektierten beispielsweise in ihren Schriften, inwiefern sie als Frauen zur öffentlichen Meinungsäußerung und zur Publikation von Texten überhaupt befugt waren. Dabei entwickelten sie verschiedene Erklärungsmuster: Einige Frauen stellten sich in die Tradition biblischer Frauenfiguren wie Maria Magdalena, Hannah oder Deborah, die für ihren Glauben öffentlich eingetreten waren. Andere Frauen sahen sich gezwungen, Schriften zu bestimmten Themen zu veröffentlichen, weil Publikationen von Männern ausgeblieben waren. Schließlich betonten viele Autorinnen auch immer wieder, dass sie mit ihren Schriften andere Frauen unterstützen wollten: Indem sie ihnen beispielsweise Hilfestellungen zur Bibellektüre oder für den Frauenalltag gaben. Sie leisteten damit also einen entscheidenden Beitrag zur religiösen Bildung von anderen Frauen und griffen generell in die Frömmigkeit und Theologie ihrer Zeit ein. Anhand des Quellenkorpus konnten Handlungsfelder ermittelt werden, in denen evangelische Frauen der Frühen Neuzeit tätig waren: Dazu gehörten die Bibelexegese und Evangeliumsverkündigung, der theologische Diskurs, Katechese und Bildung. Indem die Frauen schrieben, besetzten sie Handlungsfelder der Frühen Neuzeit, die eigentlich den Männern vorbehalten waren. Frauen, so kann ich mit dem Projekt zeigen, hatten also durchaus eine Stimme – eine laute Stimme, mit der sie weibliche Frömmigkeit in der Frühen Neuzeit prägten.

Zunächst scheint sich diese „weibliche“ Frömmigkeit der Frühen Neuzeit gar nicht so sehr von der Frömmigkeit der Männer zu unterscheiden. Trotzdem lassen sich Aspekte, die typisch für eine „weibliche“ Frömmigkeit sind, identifizieren: Weibliche Frömmigkeit ist in der Frühen Neuzeit eine Frömmigkeit, die von Frauen und oftmals auch für Frauen in frauenspezifischen Lebenssituationen gezielt geschaffen wurde. In den Schriften werden Frauen von anderen Frauen als Akteurinnen in unterschiedlichen Kontexten ernstgenommen und frauenspezifische Themen wie die Geburt eines Kindes oder das Witwendasein aus Perspektive von Frauen besprochen. Bestimmte inhaltliche Motive wie beispielsweise Betrachtungen der Passion Christi lassen sich im gesamten Untersuchungszeitraum feststellen. Allerdings gestalteten die Frauen diese Motive je nach Zeitraum und Anlass unterschiedlich. So lässt sich im 16. Jahrhundert eher eine an Luther orientierte Kreuzestheologie erkennen, während Frauen im 17. Jahrhundert eine schwärmerische Jesusfrömmigkeit entwickelten, die oftmals mit erotischen Anspielungen durchzogen war. Immer wieder waren die Schriften der Frauen auch mit polemischen Einwürfen gespickt.

Weibliche Frömmigkeit der Frühen Neuzeit – so zeigen meine Forschungen – ist keine einheitliche Frömmigkeit, sondern erweist sich als eine vielfältige und bunte Frömmigkeit. Frauen hatten Handlungsmacht in der Theologie der Frühen Neuzeit – und sie nutzten sie geschickt, indem sie ihre Ansichten publizierten – oftmals versteckt in scheinbar harmloser Literatur wie dem Andachtsbuch.

Ergebnisse aus meinem Projekt konnte ich 2022/23 in Vorträgen und Aufsätzen einer breiten Öffentlichkeit präsentieren. Im Rahmen einer Tagung zum Thema „500 Jahre Evangelisches Gesangbuch. Theologie – Musik – Kulturgeschichte“, die ich gemeinsam mit Dr. Esther Wipfler (Zentralinstitut für Kunstgeschichte München) in Kooperation mit der EKD in Nürnberg veranstaltet habe, konnte ich Befunde zu meinen Forschungen zu Frauen als Liederdichterinnen und Herausgeberinnen von Gesangbüchern vorstellen. Die Ergebnisse der Tagung erscheinen 2024 – wenn das Evangelische Gesangbuch seinen 500. Geburtstag feiert – in einem von Esther Wipfler und mir herausgegebenen Band.

Für einen Probevortrag im Rahmen des Berufungsverfahrens der Professur für Kirchengeschichte an der Theologischen Fakultät Basel befasste ich mich zudem mit einem Seitenthema meines Forschungsprojekts: Ich untersuchte Biographien von Nonnen zu Beginn der Reformationszeit, die durch die Auflösung von Klöstern neue Lebenswege gehen und entscheiden mussten, ob sie beim alten Glauben blieben oder zum reformatorischen Glauben übertraten. Hier spielten nicht nur theologische Überlegungen, sondern auch die sozialen und familiären Konstellationen, in die die Frauen eingebunden waren, eine entscheidende Rolle. Gerade dieser Aspekt erweist sich auch als entscheidend für mein Hauptprojekt: In den seltensten Fällen sind die Schriften der Frauen „nur“ theologisch motiviert. Vielmehr lassen sich unterschiedliche Faktoren erkennen, die das Denken und Handeln der Frauen in der Frühen Neuzeit bestimmte.

Kooperationen im Ostseeraum
Während meiner Zeit in Greifswald kooperierte ich mit Kolleginnen und Kollegen an der Universität Greifswald. An der Theologischen Fakultät war ich im wissenschaftlichen Austausch mit Prof. Dr. Thomas Kuhn, Prof. Dr. Heinrich Assel und Dr. Gianna Zipp. Sie ermöglichten es mir u.a., mich im Oktober 2022 anlässlich der Semestereröffnungsfeier mit einem Vortrag zum Thema „Zwischen Heimatfront und Schlachtfeld – Predigt und Frömmigkeit im Ersten Weltkrieg“ der Theologischen Fakultät vorzustellen. Der Vortrag ist 2023 in einem von mir mitherausgegebenen Sammelband zum Thema Multiple Sacralities erschienen. Im Sommersemester 2023 konnte ich an der Theologischen Fakultät zudem eine Lehrveranstaltung zum Thema „Reformation der Frauen“ durchführen, in die Ergebnisse des Forschungsprojekts einflossen. Darüber hinaus war ich in Kontakt mit Dr. Monika Schneikart, die mir Einblicke in die Greifswalder Sibylla-Schwarz-Forschung sowie die Forschungen zu den Buchbeständen Pommerscher und Mecklenburgischer Herrscherinnen gewährte.

Auch an die Universität Rostock bestanden Kontakte, die vor allem der interdisziplinären Diskussion über das Lied in der Barockzeit dienten. Im Juni 2023 veranstaltete ich mit PD Dr. Astrid Dröse, die zu dieser Zeit den Lehrstuhl für Neuere Deutsche Literatur in Rostock vertrat, den Workshop „Poemerania cantat“ in Greifswald und Rostock, der sich mit dem Liedgut des Ostseeraums in der Frühen Neuzeit befasste. Wissenschaftler:innen aus unterschiedlichen Disziplinen, u.a. aus Rostock und Greifswald (Prof. Dr. Klaus Birnstiel; Dr. Monika Schneikart) waren daran beteiligt. Zudem war ich in Astrid Dröses Seminar „Der Sound des Barock. Das Lied im 17. Jahrhundert“ zu Gast und diskutierte mit Rostocker Studierenden über Aemilie Juliane von Schwarzburg-Rudolstadt und ihre Lieder für Frauen. Die interdisziplinären Forschungen zum Lied in der Frühen Neuzeit werden Astrid Dröse und ich auch in Zukunft weiterführen.

Sowohl für meine eigene Lehrveranstaltung in Greifswald als auch für den Workshop konnte ich zudem das Pommersche Landesmuseum als Kooperationspartner gewinnen: Zweimal konnten wir an einer Führung zu den beeindruckenden Beständen teilnehmen; im Rahmen der Lehrveranstaltung wurden wir sogar von Dr. Ruth Slenczka, der Direktorin des Museums, selbst geführt.

Die Zeit in Greifswald habe ich als äußerst produktiv und als menschlich bereichernd empfunden: Kurze Wege, schöne Arbeits- und Wohnräume und der belebende Ostseewind haben dazu beigetragen. Ein herzlicher Dank geht an meine Mitfellows sowie an Prof. Dr. Ulla Bonas, Dr. Christian Suhm und alle Mitarbeiter:innen des Krupp-Kollegs, die jederzeit für Gespräche über Wissenschaftliches und Unwissenschaftliches bereit waren und mir oftmals ganz neue Horizonte und Denkanstöße eröffnet haben. Von der freundschaftlichen Atmosphäre, dem stets wertschätzenden wissenschaftlichen Austausch und dem attraktiven Vortragsprogramm am Krupp-Kolleg habe ich während meines Aufenthaltes sehr profitiert.

Publikationen

  • Bernhard Gißibl / Andrea Hofmann (Hrsg.), Multiple Sacralities. Rethinking Sacralizations in European History. Göttingen 2023 (Veröffentlichungen des Instituts für Europäische Geschichte. Beihefte 140).
    Darin: Andrea Hofmann, Between God and the Nation. Sacrificing Live and Sacralizing Death in the First World War, 145-160.
  • Andrea Hofmann / Esther Wipfler (Hrsg.), 500 Jahre Evangelisches Gesangbuch. Musik – Theologie – Kulturgeschichte, Regensburg (erscheint 2024).
    Darin: Andrea Hofmann, „Was für Dank kann ich dir sagen, liebster Jesu, treuster Freund.“ Frauen und ihre Gesangbücher in der Frühen Neuzeit.
  • Andrea Hofmann, Poetin, Pädagogin, Netzwerkerin. Über den Beitrag von Frauen zur Theologie der Frühen Neuzeit, in: zeitzeichen 23,11 (2022), 48-50.
  • Andrea Hofmann, „Sie ist mir lieb, die werte Magd.“ Das Bild der Kirche in lutherischen Liedern des 16. und 17. Jahrhunderts, in: Artes 2 (2023), 234-252.
  • Andrea Hofmann, Bibelrezeption in den Schriften der Anna Ovena Hoyers, in: Charlotte Methuen / Gury Schneider-Ludorff / Lothar Vogel (Hg.), The Bible and Women in Reformation Movements in Sixteenth- and Seventeenth-Century Europe, Stuttgart 2023 (Bible and Women 7,1), 275-290.
  • Andrea Hofmann, Freiheit eines Christenmenschen? Impulse der Reformation auf das Leben und Schreiben von Frauen, in: Blätter für pfälzische Kirchengeschichte 90 (2023), im Erscheinen.