Professorin Dr. Svenja Goltermann

Alfried Krupp Senior Fellow
(Oktober 2023 - September 2024) 

  • Professorin für Geschichte der Neuzeit an der Universität Zürich

Fellow-Projekt: „Gefährdete Gesellschaft. Gewaltwahrnehmungen am Ende des 20. Jahrhunderts“

Das Projekt geht von der Beobachtung aus, dass sich in den letzten vier Jahrzehnten des 20. Jh. das Verständnis dessen, was Gewalt ist, zunehmend und bis heute massiv ausgeweitet und verändert hat: Anders als noch in den sechziger Jahren wird Gewalt heute nicht mehr nur als körperliche gedacht, sondern auch als psychische und emotionale, als strukturelle, symbolische oder auch sprachliche. Die zentrale Frage des Projektes ist sehr einfach, wurde aber von Zeithistoriker*innen trotz der seit den 1970er Jahren wachsenden Aufmerksamkeit der Forschung für das Thema Gewalt noch nie untersucht: Warum hat sich unser Verständnis von Gewalt in den letzten Jahrzehnten so grundlegend verändert – und mit welchen Auswirkungen? Welche epistemischen Verschiebungen in verschiedenen Wissensfeldern sind für diese Entwicklung verantwortlich? Welches gesellschaftliche Ausmaß hat sie angenommen und welche Ausschlüsse gehen mit ihr einher? Zur Beantwortung dieser Fragen muss das Konzept „Gewalt“ konsequent historisiert werden und eine epistemologische Perspektive auf Gewalt als ein sich ständig weiterentwickelndes Konzept entwickelt werden, das von verschiedenen Akteuren im Rahmen unterschiedlicher Wissensordnungen ständig aktualisiert und modifiziert wird. Das Projekt untersucht dazu mit Blick auf unterschiedliche europäische Länder sowie anhand verschiedener wissenschaftlicher Disziplinen in fünf Kapiteln (1.) Konzepte der Gewaltlosigkeit, (2.) das Verhältnis von Sprechen und Gewalterfahrung, (3.) das Konzept „Mobbing“ und die Individualisierung von Gewalt, (4.) das Zusammenspiel von Opferzuschreibungen, Recht und Sicherheit, sowie (5.) das Ineinandergreifen neuer Vorstellungen von Vulnerabilität und gesellschaftlicher Ausgrenzungen.