
Professorin Dr. Laura Carrara
Senior-Fellow, Oktober 2025 bis September 2026
Universität Pisa
- PhD (2012) in klassischer Philologie / Gräzistik an der Università Ca‘ Foscari Venezia
- Wissenschaftliche Mitarbeiterin an der Universität Tübingen (SFB 923 „Bedrohte Ordnungen“) und an der Heidelberger Akademie der Wissenschaften („Kommentar zur Chronik des Malalas“); Gastprofessorin an der TU Dresden
- Seit November 2022 associate professor für griechische Sprache und Literatur an der Università di Pisa
Fellow-Projekt: „τύποι σεισμολογικοί (typoi seismologikoi). Die Repräsentation von Erdbeben in der griechischen und lateinischen Literatur“
Aus geophysikalischer Sicht sind Erdbeben unvermeidliche wie wertneutrale „harte Fakten“, die im Rahmen der Plattentektonik zu erklären sind. Für die antike Bevölkerung des Mittelmeerraumes (wie übrigens für die heutige auch) waren sie aufgrund ihrer Häufigkeit und Zerstörungskraft eine alltägliche Bedrohung. Allerdings gab es in der Antike nur eine begrenzte Möglichkeit, den Auswirkungen von Erdbeben durch erdbebensichere Gebäude entgegenzuwirken oder die nächste große Erschütterung vorherzusehen, um die Menschen rechtzeitig an einen sicheren Ort zu evakuieren (was übrigens auch heutzutage kein einfaches und unumstrittenes Unterfangen ist). So konnten die Erdbeben ihre ganze Kraft entfalten, gemessen sowohl an materiellen Schäden als auch an psychischen Auswirkungen. Auf der Deutungsebene stellten Erdbeben und ähnliche Phänomene für Heiden und Christen gleichermaßen eine theologische Herausforderung an die gerechte Erklärung der Welt dar; sie erwiesen sich auch als politische Game-Changer, als sozialer Einflussfaktor, als exemplarisches Betrachtungsobjekt für die vorinstrumentelle NaturWissenschaft und nicht zuletzt als ein verbreitetes literarisches Thema, das in fast allen Gattungen der Poesie und Prosa Niederschlag fand. Erdbeben sind somit ein idealer Beobachtungspunkt für eine neue Konturierung antiker Gesellschaften, die diese aus dem gängigen idealisierten Bild befreit und schillernde, risikofreudige wie belastbare Lebensrealitäten zurückspiegelt, die sich durch den Versuch der Bewältigung dieser „außergewöhnlichen Normalität“ auszeichnen.