Bauernkrieg ohne Bauern? Zur Performanz gedruckter Worte und Bilder

Der „Bauernkrieg“ gilt als ein zentrales Ereignis der deutschen Geschichte. Angesichts vieler vergessener Kriege und der im Vergleich mit den Verhältnissen des 19. und 20. Jahrhunderts  recht gering scheinenden Zahl seiner Opfer, ca. 100.000 Bauern, ist das Interesse an diesem Krieg nicht ohne weiteres verständlich. Es gründet in der kontroversen Deutung, die ihm vor allem infolge von Friedrich Engels Studie „Der deutsche Bauernkrieg“ (1. Aufl. 1850; 2. Aufl. 1870) zuteilgeworden ist. Engels interpretierte den Bauernkrieg als Revolution, bei der Bauern und städtische Unterschichten kooperierten und die feudale Ordnung fundamental attackierten. Als Führer der Bauern galt ihm der Theologe Müntzer. Luther repräsentierte hingegen ein frühes Bürgertum, das sich mit dem Adel gegen die Bauern verbündet habe. Dieses Narrativ und seine Bestreitung dominierten auch noch die Deutungen, die zwischen den Historikern der beiden deutschen Staaten zwischen 1949 und 1989 kontrovers waren. Insofern ist die Deutung des Bauernkriegs Teil einer gespaltenen deutsch-deutschen Erinnerungskultur.
Im Rahmen des Buchprojektes, das ich am Wissenschaftskolleg Berlin verfolge, rekonstruiere ich den Bauernkrieg als ein Phänomen der Publizistik. Im Unterschied zu den vorangegangenen Bauernaufständen des späten 15. und frühen 16. Jahrhunderts, bei denen der Buchdruck keine Rolle spielte, war dies 1525 anders. Ein wesentlicher Grund dafür liegt darin, dass sich in den Jahrzehnten zuvor in Druckgraphik und Literatur ein verändertes Bild des Bauern etabliert hat. Sodann bedienten sich die Bauern selbst – oder als Agenten ihrer Interessen auftretende Akteure – der Druckpresse. Ausgehend von Oberschwaben wurde durch diese Publikationen ein kommunikativer Zusammenhang zwischen verschiedenen Regionen im Reich hergestellt. Dabei spielten die Zwölf Artikel aller Bauernschaft, die meines Wissens meistgedruckte Flugschrift der Reformationszeit, eine zentrale Rolle. Diejenigen Bauernschaften, die in einen offenen Konflikt mit ihren jeweiligen Obrigkeiten eintraten, hatten sich diesem Programmtext angeschlossen. Er trat mit dem markanten Anspruch auf, für die gesamte Bauernschaft im Reich zu sprechen; er kreierte damit in gewisser Weise, was er zu repräsentieren behauptete. Allerdings besteht Anlass zu bezweifeln, dass die Zwölf Artikel in einem direkten Zusammenhang mit der Bauernschaft standen. Aufgrund der Publizistik verselbständigte sich die Konfliktdynamik. Damit wurde der Bauernkrieg wohl zum ersten militärischen Konflikt, der durch die Druckpresse ausgelöst und begleitet wurde.

Thomas Kaufmann studierte evangelische Theologie in Münster, Tübingen und Göttingen. Seit 2000 hat er den Lehrstuhl für Kirchengeschichte an der Georg-August-Universität Göttingen übernommen und ist seit 2016 Abt von Bursfelde. 2020 wurde ihm der Gottfried Wilhelm Leibniz-Preis der DFG verliehen. Seine Forschungsinteressen umfassen Kirchen-, Theologie- und Christentumsgeschichte in Reformation und Früher Neuzeit.

Begrüßung: Professorin Dr. Ulla Bonas
Moderation: Professor Dr. Heinrich Assel


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