Traumata und ihre Bewältigung: sozial-interpersonelle Wirkfaktoren

Wie kommt es bei einigen Betroffenen zu chronischem psychischem Leiden nach Traumatisierungen, während bei anderen die Beschwerden zurückgehen oder sich erst gar nicht ausbilden (Stichwort: Resilienz)? Der Vortrag beginnt mit einer Differenzierung der Traumafolgen nach dem neuesten wissenschaftlichen Stand, wie er kürzlich von der Weltgesundheitsorganisation als aktueller Wissensstand der „Specifically stress-associated disorders“ ratifiziert wurde. Prototyp der verschiedenen „Trauma- und Stressfolgestörungen“ bleibt weiterhin die Diagnose der Posttraumatischen Belastungsstörungen (PTBS). Für diese Störung hatten Maercker und Horn 2013 ein Modell sozial-interpersoneller Faktoren postuliert, das erklären soll, ob und unter welchen Bedingungen nach traumatischen Erlebnissen eine Störungschronifizierung auftritt. Hierbei geht es um Faktoren wie Disclosure (Fähigkeit zum Offenlegen), erlebte Anerkennung, gemeinschaftliches Ruminieren (Nachgrübeln), Veränderungen sozialer Werte und Überzeugungen. Zu allen diesen psychischen Prozessen werden Beispiele aus eigener Forschung und der anderer, internationaler Gruppen dargestellt. Kürzlich wurde mit diesem Ansatz in der Schweiz eine große Gruppe ehemaliger „Verdingkinder“ (rechtlose und misshandelte, in der Landwirtschaft arbeitende Kinder) untersucht, die heute über 75 Jahre alt sind. Dabei wurde die Wirkfaktorenforschung auf deren jahrzehntelange komplexe posttraumatische Belastungsstörung angewandt, was ausführlich dargestellt werden soll. Der Vortrag schließt mit einem Ausblick auf Therapieverfahren, die sich aus diesen Forschungsergebnissen ergeben.

Andreas Maercker absolvierte seine medizinische und psychologische Ausbildung in Halle/Saale und Berlin/Ostdeutschland. Er erhielt seinen medizinischen Doktortitel an der Humboldt-Universität und promovierte an der Freien Universität Berlin/Max-Planck-Institut für Bildungsforschung in Berlin. Im Jahr 1994 war er Gastwissenschaftler an der University of California, San Francisco. Nach akademischen Positionen in Dresden und Trier wurde er 2005 als Lehrstuhlinhaber und ordentlicher Professor für Psychopathologie und klinische Intervention an die Universität Zürich berufen. Er ist Ko-Direktor des Psychotherapeutischen Zentrums des Psychologischen Instituts. Von 2011-2018 leitete er eine Arbeitsgruppe der WHO zur Überarbeitung der Internationalen Klassifikation der Krankheiten im Bereich der trauma- und stressbedingten Störungen. Seit 2017 leitet Andreas Maercker in der Deutschen Gesellschaft für Psychologie die Historische Kommission „Instrumentalisierung der Psychologie in der ehemaligen DDR“. Er hat mehr als 300 begutachtete Forschungsartikel veröffentlicht und war 2020 auf der Clarivate Liste der meistzitierten internationalen Forscher im Bereich Mental Health aufgeführt. Im Sommersemester 2022 ist er Senior Fellow des Alfried Krupp Wissenschaftskollegs Greifswald.

Moderation: Professorin Dr. Johanna Eleonore Weber

Foto: Vincent Leifert


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