Abstracts


Annelie Ramsbrock, Heide Volkening:
Begrüßung und Einführendes
Zärtlichkeit – Prekarität – Kohabitation: Neue Ansätze der Gender Studies und ihre Bezüge zur (Literatur der) Weimarer Republik

In den Gender Studies sind in den letzten Jahren vermehrt Versuche unternommen worden, soziale Beziehungsgefüge und Gemeinschaftsbildungen mit neuen Begriffen zu beschreiben. Hierbei geht es weder um einen Ersatz für bisherige soziologische, politiktheoretische oder philosophische Konzepte, als um deren Ergänzung durch Modelle, die eine Grauzone zwischen intimen Näheverhältnissen, familiärer Fürsorge und politischen Verbünden beschreiben und in den Blick nehmen sollen. Zum Einstieg in den Workshop werden Überlegungen von Judith Butler, Anne Dufourmentelle, Sabine Hark und anderen vorgestellt und hinsichtlich möglicher Bezüge zur literatur- und geschichtswissenschaftlichen Erforschung der Weimarer Republik diskutiert.

Angelika Schwarz (TU Darmstadt)
Diplomatie der Liebenswürdigkeit. Zur Philosophischen Anthropologie von Nähe und Distanz

Kürzlich kam Helmut Lethen kritisch auf seine Plessner-Lektüre zurück, die einst das anthrophologische Fundament für die „Verhaltenslehren der Kälte“ geliefert hatte. Sein Lob der Kälte, das sich auf Plessner beruft, habe die Stellen verkannt, die zugleich ein „Naturrecht auf Wärme“ einforderten. Mein Beitrag schließt an diese Korrekturbewegung an und möchte die Philosophische Anthropologie de 20er-Jahre auf ihre Verhaltenslehren der Zärtlichkeit hin lesen. Diesen üben gerade nicht nur in soldatische Taktik und eine Wahrnehmungsdisziplin der Härte, sondern auch in Takt als „Diplomatie der Liebenswürdigkeit“ (Plessner) und in einen fürsorglichen Blick auf den Anderen

Svenja Goltermann (Universität Zürich / Wissenschaftskolleg Greifswald)
Schutz vor Verletzung? Klagen gegen Antisemitismus in der Weimarer Republik

Dass antisemitische Äußerungen und Praktiken verletzend sind, steht heute in Deutschland außer Frage, entsprechend stehen rechtliche Mittel zur Verfügung, um Antisemitismus zu ahnden. Die Anfänge für diese Rechtspraxis liegen bereits im frühen 20. Jahrhundert und waren grundlegend dafür, dass der Centralverein deutscher Staatsbürger jüdischen Glaubens (CV) seinen Abwehrkampf gegen Antisemitismus auch vor Gericht führen konnte. Der Beitrag beleuchtet diese Praxis während der Weimarer Republik. Während in der Forschung bisher die Frage im Vordergrund stand, ob es dem CV gelungen sei, tatsächlich Verurteilungen antisemitischer Täter zu erwirken, möchte ich diese Praxis in eine längere Geschichte einordnen, in der ein Bewusstsein für die Verletzbarkeit durch Antisemitismus erst geschaffen werden musste.

Vera Bachmann
„Ansprüche an Lebenswärme“. Gabriele Tergits Bestimmungen von Schwesterlichkeit

„Was halten Sie von Eifersucht?“ fragt die Zeitschrift UHU 1928 eine Reihe von Prominenten. Die Antworten sind überraschend einhellig: es ist eine Krankheit gekränkter Eitelkeit, die nicht mehr zeitgemäß sei: „Schluß mit dem entwürdigenden und verheerenden Gefühl der Eifersucht“, schreibt der Sexualpsychologe Magnus Hirschfeld. Im neusachlichen Gefühlshaushalt, in einer modernen Bestimmung des Verhältnisses der Geschlechter hat die animalische Eifersucht keinen Platz mehr.
Bedenkt man aber, dass Eifersucht (neben Rivalität und, paradoxerweise, der Harmonie) eines der zentralen Gefühle ist, mit der die Literatur Beziehungen zwischen Frauen belegt, so lädt gerade die neusachlich abgeklärte Verabschiedung der Eifersucht dazu ein, neue Verhaltensweisen unter Frauen zu erproben. Das möchte ich im geplanten Vortrag beispielhaft an literarischen und journalistischen Texten der Berliner Autorin Gabriele Tergit zeigen. Als erste weibliche Gerichtsreporterin der Weimarer Republik war sie vielfach mit agonalem, aggressivem weiblichem Verhalten konfrontiert, das sie in ihren Reportagen konsequent auf seine sozialen Umstände hin befragt. Viele ihrer literarischen Texte sind dazu komplementär angelegt: sie erproben alternative Beziehungsmuster unter Frauen, die Tergit unter den Begriff der Schwesterlichkeit stellt.

Naima Tiné (Universität Greifswald)
Klassenkampf als Kampf für Zärtlichkeit? Arbeiterinnenbewegung und Mutterschaft im frühen 20. Jahrhundert

Die Historikerin Bini Adamczak argumentiert in ihrem Werk Beziehungsweise Revolution, revolutionäre Bewegungen wie die russische Revolution oder die 68er Revolte seien vor allem deshalb ein Bruch mit der jeweils vorangegangen Gesellschaftsordnung gewesen, weil sie fundamentale Änderungen im ‚Aufeinanderbezogen sein‘ und ‚sich mit der Welt in Beziehung setzen‘ mit sich brachten. Kälte und Entfremdung in der industriekapitalistischen Produktionsweise sind und waren zentrale Themen der Arbeiterklasse und dementsprechend forderte sie nicht nur höhere Löhne, sondern verband damit auch Forderungen nach Zeit mit beispielsweise der Familie (besonders prominent: „Samstags gehört Vati mir!“). Denn das Auseinanderfallen zwischen Arbeits- und Wohnstätte, die Lohnabhängigkeit und damit einhergehend auch die Doppelbelastung der Arbeiterinnen veränderten familiäre Beziehungsweisen grundlegend. Inwiefern die Forderung nach der Möglichkeit für eine liebevolle und zärtliche Beziehung zwischen Mutter und Kind eine Rolle in der Arbeiterinnenbewegung des frühen 20. Jahrhunderts spielte, soll in diesem Beitrag untersucht werden.

Janin Afken, Liesa Hellmann (HU Berlin)
Liebende Frauen. Zärtlichkeit erzählen in den queeren Zeitschriften der Weimarer Republik

Die queere Zeitschriftenkultur der Weimarer Republik hat eine in der deutschen Literatur nie dagewesene Fülle an literarischen Texten hervorgebracht, die queeres Begehren sowie nicht-heteronormative Beziehungen und Lebensentwürfe erzählen. In diesen Zeitschriften treffen zwei Welten aufeinander: Werbeanzeigen dokumentieren die Vielfalt der Bars und Clubs, die das medial vermittelte Bild einer befreiten, hedonistischen queeren Subkultur in der Weimarer Republik bis heute prägen. In den literarischen Texten hingegen spielen diese Räume kaum eine Rolle, hier dominieren Erzählungen romantisierter Zweisamkeit, die oft im ländlichen oder naturnahen Raum verwirklicht wird. Nüchterne, sachliche oder distanzierte Erzählmodi und Sprache finden sich in den Zeitschriften kaum, stattdessen zeichnen sich viele Texte durch eine emphatische und affektive Sprachverwendung aus.
In unserem Beitrag möchten wir erkunden, inwiefern und auf welche Art und Weise spezifisch lesbisch-queere Formen des Erzählens von Zärtlichkeit in den queeren Zeitschriften der Weimarer Republik entwickelt wurden. Im Zentrum unseres Beitrages steht die literarische Figur Ruth, an der sich ein kleines intertextuelles, lesbisch-queeres Netzwerk entspinnt. Anhand dieser, in mehreren Zeitschriftentexten auftauchenden, Referenzfigur lässt sich exemplarisch auffächern, wie queere Formen von Begehren, kinship, Zärtlichkeit und Nähe erzählt wurden.


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Celia Baron M.Sc.
Alfried Krupp Wissenschaftskolleg Greifswald
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